Anneliese Hauck und Hildegard Holzapfel
Jungs, Version Eva Schneider (oben), Anneliese Hauck (Mitte) und Hildegard Holzapfel (unten)
Beide Frauen verbrachten den allergrößen Teil ihres Lebens in den „Alsterdorfer Anstalten“. Die Evangelische Stifung Alsterdorf, so ihre aktuelle Bezeichnung, ist die größte Einrichtung für Menschen mit Behinderungen aller Art in Hamburg.
Die Frauen wohnten gemeinsam in einer Wohngruppe, in der ich Anfang der neunziger Jahre arbeitete. Sie waren zu diesem Zeitpunkt ca. 70 Jahre alt und hatten eine relativ leichte geistige Behinderung. Sie waren es gewöhnt zu sticken und sahen meine Arbeiten, die ich regelmäßig mit zur Arbeit brachte. Beide Frauen baten mich eindringlich, ihnen doch auch Stickvorlagen mitzubringen, was ich dann auch tat.
Jede Frau entwickelte bei der Interpretation des jeweiligen Motivs ihren ganz eigenen „Stickduktus“. Anneliese Hauck rasterte den Hintergund des Bildes erst durch und stickte diese dann aus. Frau Hauck entwarf auch selbst Motive, zeichnete diese mit einem Edding auf den Stramin und stickte dann aus. Hildegard Holzapfel umkreiste ehr die Motive, sie machte keine eigenen Entwürfe.
Beide Stickarten kommen zu eigenwiligen und ausdrucksstarken Ergebnissen. Die Farbgebung ist individuell und spontan. Die Frauen verfügten über den großen Fundus der Wollspende der Stiftung und hatten somit über eine enorme Vielfalt unterschiedlichsten Materials Zugriff. Sie trafen nicht nur Entscheidungen, die Farbwahl betreffend, sie trafen auch klare inhaltliche Entscheidungen in Bezug auf das vorgegebene Motiv.
Das Motiv „Jungs“, ursprünglich eine schwarz-weiße Graphik aus einem Biologiebuch zur Veranschaulichung der Veränderung von Größenverhältnissen im Laufe des Lebens, veränderten beide dergestalt, dass die nackten „Jungs“ angezogen wurden, weil sie es als ungehörig empfanden, diese ohne Bekleidung zu sticken.
Sie erzählten mir, im Zuge der Zusammenarbeit aus ihrem Leben und betonten, wie schade sie es fänden, keine Kinder gehabt zu haben. Zumindest eine der Frauen war der Zwangssterilisation der Nazis zum Opfer gefallen.