Gespräche


 

„Anatomiefolklore“ - Der Fötus als Emblem

Angelica Ensel im Gespräch mit der Künstlerin Eva Schneider



Ultraschall-hat nicht nur das Erleben der Schwangerschaft maßgeblich verändert. Die Techniken der Visualisierung haben den Fötus zu einem Symbol gemacht – ein Bruch in der Geschichte unseres Körpers, wie die Körper-Historikerin B. Duden sagt: „Gültigkeit hat das, was einem gezeigt wird und nicht, was die Frau erlebt; wissenschaftliche Tatsachen werden zu einem populärwissenschaftlichen Emblem umgewandelt.“

Die Künstlerin Eva Schneider beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Wirkungen der Pränatalen Diagnostik und dieser Verrückung der Wahrnehmung. Ihre Handarbeiten – Wandteppichen, Stickbildern, Weißstickereien, Filethäkeleien, Quilts, Salzteigarbeiten und Schreinen zeigen den Fötus als Emblem – in seiner embryonalen Urform oder als fehlgebildetes Wesen. Die zum Teil sehr farbenfrohen Arbeiten, von der Künstlerin auch als „Anatomiefolklore“ bezeichnet, präsentieren eine eigensinnige Bearbeitung eines komplexen Phänomens. Aus fremdvertrauter Perspektive bieten sie neue Sichtweisen auf äußerst kontrovers diskutierte und ethisch brisante Themen.

Angelica Ensel, Ethnologin und Hebamme sprach mit der Künstlerin über ihre Arbeit und die Rezeption der Handarbeiten.

 

A.E.: „Wie entstehen die Ideen für Ihre Arbeiten, Frau Schneider?“

 

E.S.: „Ich beschäftige mich mit der Reproduktionstechnologie und der ethischen Diskussion. Ich sehe mir Filme im Fernsehen an und wundere mich – wahrscheinlich wie alle anderen Menschen vermutlich auch -darüber, was möglich ist und was immer selbstverständlicher wird. Das betrifft nicht nur die Reproduktion sondern auch die andere Seite, den Ersatz von Körperteilen, von Organen oder Schönheitsoperationen – mit dem Perfektionismus, dass man den Körper so hinkriegen will, wie man es möchte. Aber ich spüre auch, und das kann ich nicht verdrängen, meine eigene Ambivalenz. Ich sehe mir das an und merke, dass sich meine Wahrnehmung und Beurteilung, von dem, was gut und was schlecht ist, was machbar und nicht machbar sein kann, ständig verschiebt. Ich hätte vor 10 Jahren noch gesagt, Herztransplantationen würde ich nie machen. Das könnte ich jetzt nicht mehr sagen. Das gilt genauso für die Frühchen. Wenn ich selbst so ein Frühchen bekommen würde, müsste ich sagen, nein, ich möchte nicht, dass es an diese Maschinen angeschlossen wird. Das lass ich mir natürlich gerne abnehmen. Und wenn ich dann sehe, wie viele dann doch ganz gut durchkommen, kann ich nicht einfach sagen, ich mache das nicht. Das ist ein Problem: Wo ist für mich die Grenze? Wenn ich im Film sehe, dass lesbische Paare, die ein Kind bekommen möchten, sich tiefgefrorenen Samen aus Amerika einfliegen lassen und das in ihrer WG-Küche auspacken, das hat etwas völlig Irres. Aber die Frauen freuen sich über diesen Behälter. Und ich finde verrückt, dass so etwas immer normaler wird, wie die programmierten Geburten oder jetzt die Wunschkaiserschnitte, das passt da gut rein.

 

Letztlich fängt es, was die Frauen und die Programmierung anbelangt, mit der Pille an, man wirft ein, Knopfdruck – an – aus, fruchtbar – nicht fruchtbar. Das ist natürlich auch ein Fortschritt. Aber dieser Automatismus setzt sich einfach fort, so dass man meint, das Recht zu haben – vielleicht hat man das ja auch – zu entscheiden: möchte ich ein Gesundes, möchte ich ein Krankes, wie will ich es eigentlich haben. Und dann geht es eben nicht mehr nur um gesund oder nicht gesund, Mädchen oder Junge, sondern eben auch alles andere. Warum eigentlich nicht? Es gibt eben heute die Möglichkeiten. Früher konnten die Menschen auch nicht fliegen. Vor Jahren bin ich da sehr viel moralischer rangegangen, heute kann ich das nicht mehr so sagen. Was geblieben ist, ist das Befremden.“

 

A.E.: „Welchen Aspekten dieser Ambivalenzen wenden Sie sich zu?“

 

E.S.: „Mich beschäftigt zum Beispiel dieses Bild: Dieser Kübel mit Kunsteis, der da in der Wohnküche dieser beiden Frauen steht. Was sehen die da? Sie sehen schon einen zukünftigen Menschen. Das ist für mich doch sehr irre. Und das hat im weitesten Sinn mit meiner Arbeit zu tun: die Suche nach dem, worum es eigentlich geht, wobei ich das ja auch nicht so genau weiß. Aber mein Eindruck ist. das, was man sieht, ist nicht das, worum es eigentlich geht, sondern man sucht immer ein Bild von etwas. Früher hatte man ein Kind im Kopf und heute sind es eben Eizellen. Es gibt neue Bilder. Ein Bild, das jetzt ganz häufig in Zeitschriften oder im Fernsehen auftaucht, ist diese Kanüle, die eine Eizelle ranzieht, dieser Klumpen mit dieser Nadel. Jahre vorher gab es ein anderes Bild, das war dieser Ultraschall-Embryo, dieses Urwesen. Das wurde abgelöst durch die Nadel mit den Eizellen. Es wird immer mehr zerlegt.“

 

A.E: „Es wird etwas gemacht mit dem Föten. Aber Sie machen ja auch etwas.“

 

E.S.: „Ja, ich mache auch etwas. Nach meiner ersten Schwangerschaft war ich ganz erstaunt, dass alles so seinen Gang ging. Ich brauchte ja eigentlich nichts zu machen, es geschah von selbst. Damit konnte ich danach gar nicht so gut leben. Als das Kind dann aus dem Bauch war, musste ich es im Grunde noch einmal in Holz schnitzen. Ich habe dann zwei Monate oder noch länger an einer Skulptur geschnitzt, um das noch einmal nachzuarbeiten, weil ich den Eindruck hatte, ich habe damit nichts zu tun. Ich war ganz erstaunt, dass alles so ohne mein Zutun ging, dass da ein fertiges Kind rauskam. Wenn ich das im Nachhinein überlege, hat das auch mit einem technischen Körperverständnis zu tun, mit dem ich offensichtlich aufgewachsen bin: dass es ja nicht sein kann, dass man nichts tut und trotzdem etwas herauskommt – und dann noch etwas Perfektes. Auch die Geburt war so, dass ich das im Wald hätte machen können. Alle diese Körpervorgänge fand ich doch sehr erstaunlich. Dazu hatte ich offensichtlich überhaupt keinen Bezug. Ich konnte nichts aktiv tun. Das Beste, was ich tun konnte, war, es zu lassen. Und diese Erfahrung hat mich offensichtlich schwer beeindruckt.

 

Man hatte ja schon in den 20er Jahren dieses Plakat vom Körper als Maschine. Wenn man mit so einem Körperverständnis aufwächst, ist so eine Erfahrung ziemlich erstaunlich. Mir war vorher nicht klar, dass ich selbst dieses Verständnis habe. Ich war ja nie krank und auf einmal lief da ein bestimmtes körpereigenes Programm ab. Ich konnte nichts dagegen tun und war erstaunt. Ich muß sagen, im Grunde trenne ich auch automatisch Kopf und Körper. Für mich ist es so: mein Körper hat das gemacht, mein Kopf ist woanders. Dies ist die Art zu empfinden, die unsere Generation gelernt hat bzw. was sich schon seit mehreren Generationen so entwickelt hat. Es ist unsere Kulturgeschichte der Wahrnehmung und Empfindung. Durch diese eigene Schwangerschaftserfahrung wurde mir das sehr deutlich.“

 

A.E.: „Sie haben dann ja praktisch selbst noch einmal ein Kind geschaffen?“

 

E.S.: „Das kann man so sagen. Es ist zwar nicht besonders gut geworden, aber es war irgendwie nötig, um das Gefühl zu haben, man hat das auch erarbeitet. Im Grunde habe ich danach erst angefangen, mich mit all den medizinischen Bildern zu beschäftigen.“

 

A.: „Kann man sagen, die eigene Schwangerschaftserfahrung war der Auslöser für ihre Kunst?“

 

E.S.: „Ja, der Auslöser war dieses Erstaunen über die Bilder. Auf der einen Seite die Faszination daran, dass man das auch sehen wollte, auf der anderen Seite bin ich rausgegangen und habe gedacht, die können mir ja alles zeigen. Was haben diese Schwarzweißbilder auf diesem Monitor mit dem, was in meinem Bauch passiert, eigentlich zu tun? Das konnte ich nicht zusammenbringen. Das war 1988.“

 

A.E.: „Wie hat ist Ihre künstlerische Entwicklung dann weitergegangen?“

 

E.S.: „Ich habe mich mit den Ultraschallbildern beschäftigt und dann große Teppiche aus Ultraschallbildern gemacht und auch eine Serie mit Ultraschallporträts gestickt. Denn diese Bilder haben für mich mehr als dieses Medizinische transportiert. Da ist mehr als nur dieses: aha, da ist ein Kind, da ist alles dran oder nicht. Diese Bilder haben etwas Kosmisches, was in der Werbung ja auch transportiert wird, das habe ich mit den Teppichen auf eine bestimmte Art aufgegriffen. Dieser kosmische Sternenhimmel ist, wie Prof. Fritz Kramer sagt, etwas Pathetisches. Es sind Erfahrungen, die wir alle machen: Sterben, Geborenwerden, Universum. Dazu gibt es Urbilder bei allen Völkern. In vielen Ahnendarstellungen findet man diese Embryonenhaltung.“

 

A.E.: „Da ist etwas Archaisches, was uns berührt.“

 

E.S.: „Genau, das ist es wohl. Ich habe mich dann mit dem Interesse aller um mich herum beschäftigt, mit dem, was die schwangeren Frauen in diesen Bildern sehen. Sie sind ja emotional ganz stark berührt davon. Das war ich nicht. Ich war immer nur erstaunt. Auch dieses große Interesse, diese Filme anzuschauen und sie mit nach Hause zu nehmen, der Familie zu zeigen und sie im Fotoalbum zu haben - eine neue Kultur, eine Bilderkultur.“

 

A.E.: „Da ist keine Distanz mehr. Sondern: ich bin das Bild.“

 

E.S.: „Ja, es gibt ja Untersuchungen darüber, dass sich die eigene Wahrnehmung ganz stark verändert durch dieses Bild, dieses Fernsehbild des Bauches. Bei mir waren sowohl die Ultraschallbilder als auch diese Bilder von Lennard Nilson im Kopf. Ich kam zum Arzt, bekam meinen Mutterpaß, das Wartezimmer hing voller Lennard-Nilson-Bilder und ich bekam dann noch so ein Heftchen über werdende Eltern, wo auch all diese Bilder drin waren. Ich hatte die vorher noch nie gesehen, ich hatte mich nicht damit beschäftigt. Und dann hatte ich diese Bilder im Kopf, ganz stark. Ich weiß nicht, ob ich eigene Bilder hatte. Mich hat das in irgendeiner Weise blockiert. Ich wusste nur, dass diese Abziehbilder nichts mit mir zu tun haben, aber trotzdem hat es mich fasziniert. Ich finde auch, dass diese Ultraschallbilder ihre eigene Ästhetik haben.“

 

A.E.: „Wie ging es dann weiter mit Ihrer Arbeit?“

 

E.S.: „Über die Stickerei des Ultraschalls kam ich darauf, nach einer Möglichkeit zu suchen, es zu digitalisieren. Ich wollte diese gepixelten Fotos vom Ungeborenen übersetzen in ein anderes Medium und da hat sich der Stickgrund angeboten. Ich habe so große Teppiche gemacht, weil ich so erstaunt war über die Faszination der Leute über diese Bilder und dass sie ganz viel davon haben wollen. Deshalb dachte ich, ich mache einen ganz großen Ultraschallteppich, damit man darin puscheln kann.“

 

A.E.: „Es ist etwas Sinnliches. Man kann sich auf so einen Teppich legen, das Gewebe fühlen.“

 

E.S.: „Man könnte es, aber es sind Wandteppiche. Die Pixelei und Stickerei hat sich also aus dieser Umsetzung des Ultraschalls ergeben. Die Stickereien, die ich danach gemacht habe, haben sich – wenn man so will – verselbständigt. Ich bin einfach dabei geblieben. Ich habe vorher nie gestickt, ich glaube, wenn ich damit als Kind handarbeitsmäßig geqüalt worden wäre, hätte ich das nicht gemacht. Aber so ist es eine Tätigkeit, die man überall machen und überall mit hinnehmen kann, wenn das Licht einigermaßen gut ist.“

 

A.E.: „Es ist auch meditativ. Man beschäftigt sich ja immer mit einem ganz kleinen Ausschnitt.“

 

E.S.: „Ja, es ist alles sehr überschaubar und wächst sich dann so aus. Man muß nicht so schnelle Entscheidungen treffen und es dauert alles so seine Zeit. Das gefällt mir ganz gut. Auch die Muster im Hintergrund. Ich kann mir die wüstesten Muster ausdenken und dann einfach loslegen. “

 

A.E.: „Sie haben sich intensiv mit bildgebenden Verfahren und ihren Wirkungen beschäftigt. Was hat sie dabei besonders bewegt?“

 

E.S.: „Ich habe mir alle möglichen anderen bildgebenden Verfahren angeschaut, und auch solche, die bunt sind, wie Computertomografien. Dabei habe ich erfahren, dass auch Ultraschallfotografien immer häufiger koloriert werden „... denn so wünschen sich Eltern ihr erstes Babyporträt“, so heißt es zum Beispiel in dem Buch: „Der Kosmos in uns“. Es gibt unter den Medizinern Experten, die die Bilder auf bestimmte Weise einfärben und das ist ja eine Setzung, eine Entscheidung: Wie färbe ich ein Gewebe ein? Dabei geht es im Grunde auch um Ästhetik, um künstlerische Fähigkeiten. Es werden komplexe Entscheidungen getroffen und es geht auch darum, eine ausgewählte, eindrucksvolle und sogar gefällige Darstellung anzufertigen. Auch das habe ich in diesem buch gelesen. Das fand ich ziemlich interessant. Man denkt, man bekommt ein Bild und so ist der Körper. Das ist natürlich Quatsch. So werden Hirnschnitte eingefärbt, bei denen bestimmte Dinge gemessen werden wie z.B. Emotionen. Jemand entscheidet dann. Und wenn man etwas rot einfärbt, erzielt man eine andere Emotion beim Betrachter, als wenn man ein blaues Bild anschaut. Diese Wirkungen hatte ich in den letzten Jahren bei meinen Arbeiten immer im Kopf.“

 

A.E.: „Weil sie auch damit arbeiten?“

 

E.S.: „Ja, weil ich anatomische Bilder nehme und in gewisser Weise selbstständig bearbeite.“

 

A.E.: „Für mich haben Ihre Arbeiten auch etwas Verspieltes - eine wohltuende Leichtigkeit, bei aller Verrücktheit. Mir erscheint es, als würden Sie bewusst eine naive Perspektive wählen – als eine der Schattierungen Ihrer Perspektiven und Positionen – um von dort aus ganz andere Dinge zu machen.“

 

E.S.: „Bei mir funktioniert das über Bilder. Ich habe zum Beispiel bestimmte Vorlieben für Volkskunst, unterschiedlichster Art, möglichst schon buntere Dinge. Im katholischen Raum gibt es die Votivbilder, die auch viele anatomische Details zeigen, da werden z.B. alle Kinder abgebildet, die nach einer Geburt gestorben sind, oder nur Hände, Füße oder Herzen. Das finde ich interessant. In Afganisthan, gibt es zum Beispiel eine Tradition, Teppiche zu knüpfen, wahrscheinlich schon über Jahrhunderte oder Jahrtausende. Durch die vielen Kriege dort haben sich die Ornamente gewandelt. Da wurden Kriegsgeräte wie Panzer oder anderes in Ornamente verwandelt. Heute gibt es eine ganze Reihe von Kriegsteppichen. Das finde ich sehr interessant, wie eine traditionelle Kultur modernisiert wird, wie sich uralte Ornamente ändern und neue Geschichten erzählen, aber ihre alte Art, zu erzählen, behalten. Vor allem Amerikaner sammeln diese Kriegsteppiche, sie werden hoch gehandelt. Je nach Region sind die Ornamente unterschiedlich und werden ganz unterschiedlich geknüpft. So etwas interessiert mich. Ich mache so etwas nicht, aber ich beziehe mich auch auf diese Tradition.“

 

A.E.: „Bei ihrer Arbeit verknüpfen sie Ebenen, Sie transformieren Perspektiven und bringen sie auch zusammen. Es wird ver-rückt.“

 

E.S.: „Wie das genau funktioniert weiß ich nicht. Ich habe ja viel mit geistig Behinderten gearbeitet, um Geld zu verdienen. Und es ist kein Zufall, dass ich immer auch Sachen gestickt habe, die mit Behinderung zu tun hatten, die nicht so in Ordnung sind. Obwohl ich mit schwer geistig und körperlich Behinderten zu tun hatte, hatte ich bei den eigenen Schwangerschaften keine Angst. Es gibt diesen tollen Film „Freaks“ aus den 30er Jahren über Behinderte, die sich zusammenschließen gegen die, die sie ausnutzen wollen. Der Film ist voller Humor, unglaublich, er durfte jahrelang nicht aufgeführt werden. Dieser Film ist mir auch immer präsent. Auch das, was Schlingensief gesagt und mit Behinderten gemacht hat. Da ist auch so ein unverkrampftes Herangehen. Er hat große Fähigkeiten, mit Leuten, die irgendwie seltsam sind, umzugehen. Ich habe da offensichtlich ein anderes Verhältnis als viele andere Menschen, die da befangen sind und gehe da anders mit um. Es hat mich immer interessiert, ohne das irgendwie zu erhöhen, ich fand es einfach spannend.“

 

A.E.: „Sie haben in Ihrem Vortrag erzählt, dass einige der behinderten Frauen, mit denen Sie arbeiteten, auch anfingen, ihre Ideen aufzunehmen.“

 

E.S.: „Es waren zwei Frauen in meiner Wohngruppe. Sie haben mir erzählt, dass sie diese Babys und all das, was ich damals so gestickt habe, auch gerne sticken wollen, weil sie zwangssterilisiert wurden. Im Gegensatz zu mir waren sie durch die Beschäftigungstherapie gewohnt zu sticken, das mussten sie ja immer. Sie fanden diese Tätigkeit für sich aber auch gut. In der Beschäftigungstherapie hatten sie Dinge gestickt, die ihnen vorgegeben wurden. Die eine Frau wollte sowohl Vorlagen von mir, hat aber auch selbst Entwürfe auf den Stramin gezeichnet und gestickt. Die Interpretationen von anatomischen Zeichnungen durch die Frauen sind zum Teil sehr groß geworden. Es ist ganz interessant, welche Farben die Frauen ausgewählt haben, ich hatte nichts vorgegeben. Ich habe die Bilder dann später gekauft. Die Frauen wollten sie nicht behalten, für sie war das Sticken das Wichtigste.“


A.E.: „Welche Reaktionen bekommen Sie auf Ihre Arbeiten, z.B. auch von Menschen, die sich noch nie mit diesen Themen beschäftigt haben?“

 

E.S.: „Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Oft sind es Frauen, die selbst handarbeiten, die völlig begeistert sind. Von Männern kommt oft die Reaktion: `Oh Gott, soviel Arbeit´. Es kommt auch auf die Szene an. Ich habe ja in der Trinitatiskirche in Hamburg-Altona ausgestellt und in diese Kirche ist kein typisches Kunstpublikum gekommen, sondern die Menschen aus St. Pauli. Die Reaktionen waren überwiegend positiv. Viele Leute sind mehrfach in die Ausstellung gegangen, das war auch bei meinen anderen Ausstellungen so. Manche haben fotografiert und waren vielleicht auch ganz froh, einfach Bilder zu sehen, auf denen sie mal etwas erkennen können. Im Vergleich zu vielen modernen Arbeiten, die sich nicht sofort erschließen, kann man mit meinen Arbeiten in gewisser Weise etwas anfangen. Sie erschließen sich zunächst vordergründig. Sie sind bunt und erstmal freundlich, auch, wenn es zum Teil um wüste Themen geht. Und diese großen Teppiche haben auch etwas Sakrales. Sie passten in diese Kirche, auch die Weißarbeiten, Salzteigskulpturen und auch die Reihe mit den goldenen Siamesen und meine Schreininstallationen. Das sind Schreine mit Beleuchtung, die es in türkischen Läden gibt, die ich dann anders gestalte.“

 

A.E.: „Einige Ihrer Arbeiten wirken auf mich wie Altäre.“

 

E.S.: „Ich glaube einfach, es geht um andere Dinge als um dieses Sehen von Föten. Die Menschen suchen etwas anderes darin. Eigentlich gibt es heute keinen Gott mehr, nicht wirklich. Die Kirche kann das nicht mehr auffangen. So werden die Kunsthallen zu großen Kirchen und dort suchen die Menschen das, was sie früher in den Kirchen gesucht haben an Erbauung, an Erklärung und Sinnhaftigkeit. Insofern finde ich es ganz gut, dass diese Sachen in der Kirche hängen, weil das, was gesucht wird, glaube ich da eher den Platz hat – dieses Unglaubliche der Schöpfung – dieser pathetische Kram. Das beschäftigt die Menschen immer noch.“

 

A.:E.: „Es ist das, was Barbara Duden vielleicht meint, wenn sie befremdet ist, wie über die befruchtete Eizelle gesprochen wird, die als „ein Leben“ bezeichnet wird.“

 

E.S.: „Barbara Duden bezeichnet das als`Sacrum`. Sie sagt, sie hätte keine bessere Erklärung dafür. Sie sagt: `Bisher war Sacrum immer ein sichtbares Objekt, ein Ding, das gesehen werden kann, nicht erscheint oder sich darstellen muß. In unserer Gesellschaft wird den verbindlichen Grundvorstellungen, die jenseits unseres Erfahrungs- und Erlebnishorizontes liegen, kein religiöser Charakter zugeschrieben. Aber es sollte uns nicht daran hindern, die Möglichkeit des Erscheinens dieser letztlichen Trivialität an seinem spezifischen `Ort` zu vermuten. Ich habe keine bessere Erklärung für die Manifestation des `Lebens´im Foetus als dieses für ein sacrum der Gegenwart zu halten´. Das empfinde ich auch so. Deswegen war es richtig, die Ausstellung in der Kirche zu machen, deswegen sind die Sachen auch weiß – diese Weißstickereien, die Damastservietten, die auf der einen Seite dieses Sakrale haben, auf der anderen Seite auch dieses Medizinische, wie Laken - all dieses Weiß in der Medizin.“

 

A.E. „Welche Erfahrungen machen Sie als Künstlerin mit Ihren Arbeiten in der Kunstszene?“

 

E.S.: „Mein Material hat ja mit Handarbeiten zu tun und dieses Material ist auf jeden Fall in der Kunstszene nicht positiv besetzt. Das hat immer so etwas Puscheliges. Und wenn man dieses Material schon verwendet – so wie das vor Jahren schon angefangen hat mit Rosemarie Trockel, die damit bekannt geworden ist – dann gibt es noch die Frage der Ausführung. Rosemarie Trockel hat dieses peinliche Material nicht selbst bearbeitet, sie hat die Konzeptarbeit gemacht und hat sticken  oder stricken lassen. Ich werde häufig gefragt, warum ich denn, wenn ich um Gottes Willen solche bunten Bilder mit diesem Material mache, mir das auch noch selbst aufbürde. Das ist offensichtlich für viele Menschen unerträglich. Für mich gibt es kein peinliches Material. Für viele, die sich professionell mit Kunst beschäftigen, ist es aber ein Problem. Und wenn man das auch noch selbst macht und nicht mit der Maschine und dann auch noch kleine Sachen macht, dann ist das schon komisch. Man ist auf einer Puschel-Frauen-Handarbeitsebene und wenn man das dann noch als Frau und mit diesen Themen macht und dann mit diesem Material, das ist im Grunde schon eine Frechheit – das geht eigentlich gar nicht. Da kann man nicht ernst genommen werden. Das war jedenfalls mein Empfinden. Das war am Anfang in der Kunsthochschule auch so, hat sich dann aber durch meine Penetranz, weil ich das immer weiter gemacht habe, gegeben. Aber das ist ein gewisses Problem, wenn man diese Technik wählt.“

 

A.E.: „Für Sie hat es aber auch eine Bedeutung, das selbst zu tun?“

 

E.S.: „Rosemarie Trockel hat ihre Arbeiten ausführen lassen, das war für sie wichtig. Ich habe das ja auch teilweise gemacht. Ich bin da nicht dogmatisch. Ich lasse Sachen machen, wenn ich es nicht kann, wie diese Weißstickereien oder wie die gewebten Sachen. Da habe ich den Entwurf gemacht, wie bei der Damastserviette oder dem gewebten Gobelin, ich kann eben nicht Gobelin weben. Der Weber hat ein halbes Jahr daran gewebt. Ich würde es vielleicht ganz gerne lernen, aber das sind auch Projekte, die muß man dann irgendwo stationär machen, man kann sie nicht mitnehmen, das passt mir auch nicht so gut. Ich könnte die Stickbilder auch gar nicht in Auftrag geben. Ich könnte sie in Auftrag geben, wenn sie fertig sind, dann könnte ich sagen, so, noch mal.“

 

A.E.: „Sie sagen ja auch, dass sie viele Entscheidungen in diesem Handarbeitsprozeß treffen.“

 

E.S.: „Ich kann es vorher nicht festlegen.“

 

A.E.: „Die Bilder entstehen über eine langen Zeitraum, Sie arbeiten punktuell daran, das alles gehört ja zu dem Prozeß.“

 

E.S.: „Es ist eben sehr unterschiedlich, wieviel Zeit ich habe. Manchmal denke ich mir das vorher anders und muß noch einiges ändern. Manchmal ist es lustig, welche Materialien gerade im Trend sind, was man benutzen kann und was nicht. Und Wolle und Backen ist immer so eine komische Sache gewesen. Das sind beides Materialien, gerade Salzteig, die haben etwas ganz Piefiges. Man stellt sich Salzteigkringel vor und so was.“

 

A.E.: „Es hat ganz viel mit Haushalt zu tun.“

 

E.S.: „Ja, in gewisser Weise, aber die Themen ja alle gar nicht. Und die Bilder sind am Ende ja auch nicht puschelig – weder thematisch noch in der Ausführung – aber trotzdem ist es offensichtlich nicht so gut auszuhalten, so wie die gehäkelten Siamesen. Filethäkelei ruft ja auch bestimmte Assoziationen hervor. Ich mache mich nicht darüber lustig. Ich versuche bestimmte Motive in gewisser Weise umzusetzen, damit man anders schaut und es eine andere Ebene bekommt. Das gelingt manchmal mehr und manchmal weniger und davon hängt die Technik ab, die ich benutze. Meine gegenständlichen Stickereien passen eben nirgendwo rein. Das will ich auch nicht bezwecken, das ist eben so. Diese Kategorisierung macht es mir schwer. Wenn ich mich z.B. bewerbe und die Leute die Originale oder mich nicht kennen und man dann erklären muß: `Ich sticke Föten`. Das sage ich so nicht, aber ich erkläre und dann können sich die Leute das nicht vorstellen. Das ist mir unangenehm und ich mag es nicht tun. Aber wenn meine Arbeiten ausgestellt sind, funktioniert das meistens ziemlich gut. “

 

A.E.: „Da viele Ihrer Arbeiten eher klein sind, können Sie sie überall ausführen und Sie können nebenbei in der Öffentlichkeit arbeiten“

 

E.S.: „Ich finde es nicht unwichtig, dass man die Arbeit überall tun kann. Man kommt ja entsprechend auch mit Leuten ins Gespräch, wird darauf angesprochen. Das habe ich immer als ganz angenehm empfunden. Das hat natürlich überhaupt nichts von dem Genie, wie man sich einen Künstler vorstellt, der sich zurückzieht. Es hat etwas völlig Beiläufiges.“

 

A.E.: „Hat das nicht auch ganz viel mit dem Prozeß zu tun, um den es geht, der geschieht doch auch beiläufig – das Kind wächst von selbst.“

 

E.S.: „Keine Ahnung. Bei mir war es eher so, dass es gut mit allen Tätigkeiten, die man sonst noch zu tun hat, vereinbar war. Ich konnte es immer nebenbei machen, egal, wo ich war. Wenn ich nur im Atelier hätte arbeiten müssen, hätte ich viel weniger machen können. Es war für mich auch eine Möglichkeit, immerzu arbeiten zu können und dabei andere Dinge zu hören und zu sehen. Ob ich nun auf dem Spielplatz oder im Schwimmbad rumsitze. Ich hatte es zeitweilig überall mit und das war sehr praktisch. Und ich bin immer ein Freund des Handwerks gewesen. Aber mit diesem Material gibt es immer gewisse Probleme. Und dadurch dass es bunt ist, ist das noch stärker. Meine Theorie ist, dass das im Norden noch schwieriger ist wegen des Protestantischen. Der Protestantismus hat mit Farben nicht viel am Hut. Und wenn es dann noch glitzert, wird das schnell zuviel. Im Katholizismus sind die Menschen eher gewohnt, so etwas anzuschauen oder in anderen Kulturen. Latinos, zum Beispiel, haben damit überhaupt keine Probleme. Die haben auch nicht das Problem, das immer einordnen zu müssen. Das interessiert mich doch überhaupt nicht. Diese Gratwanderung, dass es immer haarscharf daneben ist und man weiß nicht, ist es jetzt Bildende Kunst, ist es Grafik, ist es Kunsthandwerk, ist es Textilkunst – keiner weiß es und mir ist es egal.“


Dieses Interview ist am 24.12.2004 im TAZ mag erschienen 




Unten stehende Gespräche habe ich, anläßlich meiner Diplomarbeit an der Hamburger Kunsthochschule, im Jahre 1993 mit unterschiedlichen Personen geführt.


Zusammenfassung eines Gespräches mit  Fritz Kramer (Ethnologeprofessor) im Dezember 1993

Thema: Ultraschallteppiche


Wie ich die Arbeit, die ich seit Jahren beobachte, verstanden habe, ist das doch die Übersetzung eines Traumas, eines persönlichen Traumas in Kunst. Also so wie andere mit ihren Kindheitserinnerungen laborieren, wo z.B. rostige Dosen eine Rolle spielen und dann sagen als Kunststudenten, sie interessieren sich für Blech oder rostiges Blech, basteln da an irgendwas rum. Diese rostige Dose hat sicher einmal etwas anderes bedeutet, deshalb interessieren sie sich eben dafür. Das ist ein Trauma, ein besonders stark wirkender Eindruck irgendeiner Art. Das ist so ein ziemlich allgemeiner Prozeß, den man in der Kunst eigentlich immer wieder beobachten kann, nicht in allen Fällen, aber in vielen. Künstler sehen das nicht so, aber ich weiß, daß das so ist.

Inder feministischen Kunst spielt die Menstruation eine große Rolle, das ist ja in dieser Hinsicht (Schwangerschaft) vergleichbar. Dabei geht es auch ausschließlich um den weiblichen Körper. Das kommt immer wieder als Thema vor und dabei auch nicht nur die Menstruation, sondern auch die Menarche, als die erste Periode, eine der Schwangerschaft vergleichbare körperliche Veränderung. Die ist natürlich ganz anders, aber es ist eine der größten Veränderungen, die der menschliche Körper mitmacht, bevor er dann allmählich ins Grab sinkt. Das spielt in der Kunst eine ganz große Rolle.

Jetzt ist diese Erfahrung (Ultraschall) aber nicht nur eine persönliche Erfahrung, sondern eine Generationserfahrung. Eine ganze Generation hat dasselbe mitgemacht und man kann den ganzen Vorgang so auffassen, daß also solch ein Trauma in etwas Ästhetisches umgesetzt wird, und das Endprodukt ist besonders bei dem großen Teppich etwas sehr Schönes. Also im ursprünglichen Sinne etwas Ästhetisches.

Es hat eine Ästhetisierung eines solchen Traumas stattgefunden. So würde ich das darstellen.

Die Umsetzung eines Traumas in ein Bild bedeutet, daß das Trauma in dem Bild zwar erkennbar ist, aber die Qualität des Bildes hat damit nichts zu tun. Also muß es in einer Weise verobjektiviert sein, und zwar so, daß Sie nicht anwesend sind, Sie sind nicht im Raum, Sie erklären nichts, Sie schreiben auch nicht den Katalog, das Bild muß für sich sprechen. Wenn man jetzt alle Künstler prügelt, um herauszubekommen, warum sie etwas so und nicht anders gemacht haben, das wäre nur psychologisch interessant. Einen Kunstkritiker geht das im Grunde genommen nichts an,

Das Bild ist eben deswegen gelungen, weil es diese kosmische Dimension kriegt, also hier (in dem großen Teppich) am deutlichsten, fortgesetzt in diesen beiden Genitalaufnahmen und dann in den Portraits; aber der Effekt ist auch durch die gleiche Farbwahl immer derselbe, eigentlich hätte eines genügt. Das ist eben gelungen, egal, ob man das erkennen kann oder nicht, das hat auch als abstraktes Bild eine ästetische Qualität, egal, ob ich weiß, was es ist oder was das darstellt. Das hat eben so etwas, würde man heute sagen, Kosmisches. Egal, was es ist. Wenn ich nun auch noch die Embryoform erkenne, so sind dann zwei Assoziationen, nämlich Himmelssphäre, also der Nachthimmel, das Kosmische und das Embryonale in eine Deckung gebracht. So, daß man hier irgendwie sieht, daß der Mensch im Kosmos beheimatet ist, pathetisch ausgedrückt.

Das ist aber gut, ich akzeptiere das. Das finde ich völlig richtig, das ist eben eine Qualität, die diese Bilder haben. Eine andere haben sie nicht. Die sind nicht irgendwie kritisch, das wäre die Alternative gewesen, das hätte ich wahrscheinlich gemacht.

Um Frauenkunst handelt es sich, wie ich das Wort verwende, nicht.

Das es sich um Sticken handelt, ist eine ganz äußerliche Assoziation, weil die Bildkonzeption Männerkunst ist. Also, knallhart Männerkunst. Da ist nichts von Frauenkunst drin. Es könnte höchstens feministische Kunst sein, das ist etwas ganz anderes, weil feministische Kunst nämlich auch Männerkunst ist, aber eben eine mit umgepolten Wertungen. Frauenkunst beseht, wenn etwas gereiht wird, relativ abstrakte Formen, also Männerformen, die sich wiederholen. Das ist seit 20 000 Jahren so. Frauenkunst ist abstrakt und sozial. Sozial, also nicht eine Figur, wie z.B. bei Ihnen. Während Frauen in vormodernen Gesellschaften immer an sozialen Beziehungen orientiert sind.

Sie stellen also praktisch immer Gruppen dar. Das sind eigentlich immer Menschengruppen, wo es um Beziehungen zwischen Menschen geht. Also gerade dieses Ihr Thema ist immer Thema von Frauenkunst gewesen. Aber da geht es dann eben um genealogische Beziehungen.

Denken Sie sich mal drei Strichmännchen untereinander, das ist eine Abstammungslinie. Und drei Strichmännchen in einer Reihe, das ist eine Geschwistergruppe. Das ist jetzt ganz stark vereinfacht, aber in diese Richtung geht das.

Während Männerkunst von Anfang an immer eine Figur hatte. Es können in der Malerei auch mal drei oder vier Figuren sein; aber das sind immer nur einzelne Beziehungen. Es ist nie eine Reihung darin. Ganz selten, in Leonardos Abendmahl kommt es vor, aber da ist jede Figur so stark individualisiert, daß das eigentlich eine Reihung von Individualportraits ist. Insofern haben Ihre Teppiche mit Frauenkunst wirklich nichts zu tun.

Es gibt diese Embryonalform in der Skulptur sehr häufig. Die Ahnenfiguren werden embryonal dargestellt, weil sie einerseits tot sind und andererseits aber auch ungeboren. Solche pränatalen Formen, die so rund embryonal sind, diese Figur hat Brüste und Penis (er zeigt eine afrikanische Ahnenfigur), sie ist zwar gestorben, aber jetzt in einem Zustand des Ungeborenen, wo also das Geschlecht nicht festgelegt ist. Nun wissen wir, daß das nicht der Fall ist, daß das Geschlecht von vornherein festliegt. Für einen normalen Menschen ist der Embryo doch geschlechtslos.

Diese kosmische Form, die in der embryonalen Form enthalten ist und so eine Vorstellung von Ganzheit und Fülle, das also männlich und weiblich zugleich ist. Das wäre in der Kunst nichts Neues, das holen sie aber durch das Bild auch raus. Es ist praktisch eine malerische Form dasselbe zu sagen, eben das, was diese afrikanischen Bildhauer in ihren Figuren gebracht haben.

Ob man ein schönes Bild machen kann, da ist nur entscheiden, ob der Bildtypus durch die Werbung ins allegemeine Bewußtsein vorgedrungen ist oder nicht und das ist z.B. bei einsam rauchenden Männern in der Wüste so, da kann man nichts mehr mit machen in der Kunst, das ist kaputt. Mit schönen Frauen kann man auch nichts mehr machen. Die Werbung hat das weggefressen, so wie ein Steinfraß. Das ist für die Kunst unbrauchbar geworden, weil die Bilder für uns dann abgegriffen sind, und das ist ein diesen (meinen) Bildern nicht der Fall. Die hängen nicht an jeder Straßenecke und werden es auch nicht, weil es auch nichts ist, was man kaufen könnte. Man könnte es höchstens als Produktwerbung für etwas ganz anderes einsetzen, etwa für Müsliläden oder so. Das ist aber auch wenig wahrscheinlich, daß jemand auf die Idee kommt. Insofern können sie mit diesen Bildern sehr frei verfahren, weil sie nicht besetzt, nicht okkupiert durch die Werbung sind.

 

 

 

 

 

 


 

Thema: Ultraschalluntersuchungen

 

Gespräch mit Thomas A., Maler aus Berlin 

 

E:   Wann hast Du zum ersten Mal ein Ultraschallbild gesehen?


A:   Ein Kollege brachte mal eins mit. Das erstaunlichste an dem Ultraschallbild war, daß es wie ein alter Mensch aussah. Der Kopf wirkte wie der eines alten Opas mit einem Bart, auch was Schädelhaftes, das hat mich relativ entsetzt, jedenfalls soweit entsetzt, daß ich mich daran machte; ich hatte vorher ja immer nur die Schwarz-Weiß Landschaften gemacht, also sehr strenge Bilder, die an Landschaft erinnern, weil sie nach den Gesetzen der Perspektive gebaut sind, aber figürlich war überhaupt nichts dabei. Dann hatte ich aufeinmal die unheimliche Lust, das Bild mir von meinem Freund auszuleihen und da so ein Bild nach meiner Art daraus zu bauen.


E:   Wie lange ist das her?


A:   1985 oder so. Ich habe den Bildern damals auch so medizinische Titel gegeben, die sich nicht auf das Dargestellte bezogen, sondern bei denen vom Wortklang, ähnlich wie in der Malerei eine Abstraktion eintritt. Ich wollte das Bild so benennen, wie es mir innerlich erschien.So versuchte ich einen Klang von Buchstaben zu finden und habe dann in medizinischen Wörterbüchern mir Worte ausgesucht, die irgendwie zu dem Bild paßten. Also auf der einen Seite dieses Bild; das was so ein Frauenkopf, gewissermaßen so aufgelöst wie die Landschaftsbilder auf der anderen Seite dieses Körperchen Baby mit diesem Opagesicht, gab ich ihnen den Namen Duodenum, da das zwei waren.

Eigentlich ist das ein Teil des Darms, irgendwo am Hintern der letzte Rest. Das Bild hat merkwürdigerweise ein schwuler Restaurantbesitzer gekauft. Ich hoffe, der guckt nicht in dem Wörterbuch nach, was Duodenum heißt.

Die nächste Gelegenheit hab es, als meine Freundin mit dem ersten Ultraschallbildern nach Hause kam. Der Ultraschall war ein Anlaß, etwas, das da ist, so mit mir in Verbindung zu bringen, daß es einem anderen Zusammenhang wieder neu herauskommt. Also möglicherweise als halbabstraktes Bild.

Ich habe dann, als meine Freundin mit den Bildern ankam, sie durch den Scanner laufen lassen und hatte sie so auf dem Computerbildschirm. Da kann man sie dann noch einmal bearbeiten.

Die ganze Computergeschichte hat für mich nicht den Standort erreicht, an dem ich sagen kann, also da sind jetzt fertige Arbeiten entstanden. Aber das reine Rumspielen mit den Sachen, es positiv oder negativ zu sehen, so wie Du, wenn Du von der Rückseite arbeiten mußt. Das schafft immer wieder so eine Irritation, die möglicherweise einen ganz neuen Weg iniziiert.


E.   Hatte es eine Bedeutung für Dich , daß auf dem Foto Dein eigenes Kind zu sehen war oder war das nur einfach ein Bild?


A:   Einfach ein Bild. Das hatte für mich keine Bedeutung. Es hätte irgendwas sein können.


E.   Warst du bei den Untersuchungen mal dabei?


A:   Einmal ja, und ich habe dann mit der Videokamera den Bildschirm der Ärztin abgefilmt. Emotional doch so einigermaßen irritiert, weil die Freundin da so liegt und das Ultraschallgerät auf dem Bauch hin und her kreist, hier sieht man das Beinchen, man merkt da bewegt sich was. Das ist schon ein gefühlsmäßig intensiver Moment.

Aber doch war ich fast froh, die Videokamera dabei zu haben. Ich habe sozusagen eine Distanz halten können, indem ich ein Bild und noch dazu von einem Bildschirm gesehen habe, um mich also emotional davon zu lösen, zu trennen.

Ich habe aber nicht gefilmt als ersten Beweis, als erste Portraitfaufnahme von diesem entstehenden Kind, mehr aus der Vorliebe für die Apparate, um zu sehen, was man da vielleicht draus machen kann. Das ist der eigentliche Grund, warum ich das veranstalte. Ich habe also kein persönliches Motiv, das ist mir nicht egal, was da passiert, aber betrachte es doch mehr in der Absicht, Bilder dadurch zu erzeugen oder Bilder zu haben, als ein ,naja, "das ist unser Baby" oder so etwas.

 

 

 


 

 

                     

Gespräch mit meiner Freundin Maria S., 1993


E:   Wie war das, als Du Deinen ersten Ultraschall gesehen?


M:   Damals ( 1975 ) war es ja so, daß ich dachte, soll ich abtreiben oder nicht. Dann war ich bei so einem jungen Arzt, ich weiß nicht, ob der katholisch war oder nicht, auf jeden Fall war er wohl gegen Abtreibung, oder zumindest in meinem Fall, weil er wohl merkte, daß ich das eigentlich nicht wollte. Damals gab es noch nicht in jeder Praxis Ultraschallgeräte. Dann ist er mit mir extra in die Klinik gefahren, hat ein Ultraschallbild gemacht, und da sah man etwas ganz kleines Zappeliges. Das zeigte er mir und sagte: "Sehen Sie mal, das ist aber ein fleißiger Schwimmer."


E:   In welcher Woche war das?


M:   Also, er behauptete – und das war die ganze Zeit der große Irrtum – laut Ultraschall und nach seinen Berechnungen, Ende des 3. Monats. Dabei war ich gerade im ersten. Daß man überhaupt etwas gesehen hat, war eigentlich komisch.

Und dann, als ich das gesehen hatte, da war das irgendwie greifbar für mich, da war das irgendwie existenter. Ich fühlte ja noch keine Bewegungen, nur war mir ab und zu ein bißchen übel; jedenfalls war es nun eigentlich noch unmöglicher für mich abzutreiben. Ich dachte bei mir: Wenn ich so einen kleinen Fisch im Bauch hab', dann soll er da auch bleiben. Ja, das ist nun schon 19 Jahre her.      Sie haben später noch mehr Ultraschallbilder gemacht, weil sie dachten, ich sei im 9. Monat, als ich noch im 7. war und haben dann den Kopfumfang gemessen per Ultraschall. Das kam alles nicht hin. Sie waren weiterhin davon überzeugt, ich sei im 9. Monat, und ich war wirklich erst im 7.. A. hatte jedenfalls einen völlig normalen Kopf bei der Geburt.


E:   Die Visualisierung hat zu Deiner Entscheidung beigetragen?


M:   Ja, das war ein Faktor mit, aber ich hätte sie sowieso gekriegt. Aber das war noch ein kleiner Punkt mehr. Was mich damals schon so erstaunt hat, war diese Gläubigkeit, daß sie nun dachten, sie haben dieses Ding, dieses Ultraschallgerät und das haut jetzt 100-prozentig hin, also das Ding hat recht und ich bin im 3. Monat.


E:   Welche Auswirkungen hatte diese Falschberechnung für Dich?


M:   Ich stellte mich darauf ein und habe dann am Ende des 7. Monats die dicke Panik bekommen, weil das Kind nicht kam. Wenn es sich mal ein paar Stunden nicht bewegt hat, dachte ich, es ist tot und gammelt in meinem Bauch, ganz fürchterlich. Schreckliche Ängste, wirklich. Im 7. Monat mußte ich dann ins Krankenhaus für eine Woche und dort haben sie mich an den Wehentropf gehängt. Das hat Gott sei Dank alles nichts genützt. Sie haben immer darauf gepocht, nach dem Ultraschall sei es jetzt soweit. Das war der Komplex der menschlichen Einschätzung, weil eine Maschine darübersteht und perfekter ist und mehr weiß, und so wird das Ding auch eingesetzt, denke ich.

Genau wie Frau Dr. A.( 1990, 15 Jahre später während einer weiteren Schwangerschaft ) mit ihrem Ultraschall mich jedes Mal völlig verrückt gemacht hat, die Plazenta arbeite nicht richtig oder sonst etwas, wenn sie wieder auf den Apparat geguckt hat und ich eigentlich ein gutes Gefühl hatte. Wenn ich dann nach Hause ging und zwei Stunden wieder allein war und etwas Distanz hatte, dann wußte ich wieder, ich habe recht und nicht dieser Apparat.


E:   Ja, da wären wir jetzt 16 Jahre weiter schon bei Deinem zweiten Kind. Wurde bei Dir das erste Ultraschallbild schon zur Feststellung der Schwangerschaft gemacht?


M:   Nein, viel später, ich bin zum ersten Mal zur Untersuchung gegangen, als ich schon im 5. Monat war.


E:   Da war dann schon verhältnismäßig viel zu sehen?


M:   Ja, sehr viel. Die Ärztin hat mich dann auch viel allein gelassen mit dem Gerät, sie hat ja immer viel zu tun und rennt von einem zum anderen. Da lag ich dann in diesem Ultraschall-Zimmer und hatte diesen Glibberkram auf dem Bauch, die Sonde lag daneben und ich mußte 10 Minuten warten. Ich war so neugierig. Dann habe ich mir selber die Sonde auf den Bauch gesetzt und so von allen Seiten mal geguckt und das war ziemlich irre, man konnte ganz viel sehen.

Aber ich habe es nicht zusammengekriegt. Das Gefühl, das ich hatte, wenn sich das Kind bewegte und so wie eine Feder von innen an der Bauchdecke entlangstrich und dann so ein kleiner Dinosaurier auf dem Bildschirm.

Das Gerät war so eingestellt, daß man das Skelett sah und dann rundherum etwas. Ich weiß nicht, ob das die Gebärmutter war oder was. Jedenfalls sah es für mich wie ein Dinosaurierskelett in einer Höhle aus, das sich dann so bewegte. Ich fand das schon spannend und versuchte über das Visuelle mehr Bezug dazu zu bekommen und mir das Kind schon besser vorzustellen, das ging aber nicht.


E.   Das ging nicht?


M:   Das ging nicht! Ich habe dabei nicht irgendwelche Zärtlichkeitsgefühle entwickeln können.


E:   Und hattest Du diese Gefühle vorher?


M:   Ja, wenn ich meine Hand so auf den Bauch legte oder das Kind nachts gespürt habe, dann habe ich das gehabt. Habe mich gefreut und fand das angenehm. Dieses Schwarz-Weiß-Monitorbild ist so ein vergeblicher Versuch, etwas herzustellen, was bei mir nicht geklappt hat.Das erste Mal machte sie ein Bild von O. im Profil. Das hat der Vater noch.


E:   Also, sie hat die Bilder auch immer ausgedruckt?


M:   Ja, immer eins für sich und eins für mich. Die waren immer doppelt. Das Beste hat sie dann ausgesucht und hat auch mir eins mit nach Hause gegeben. O.s Vater hat das Foto in sein Album geklebt. Dazu hat er dann das kleine rosa Bändchen, was sie in der Klinik umgekriegt hat nach der Geburt, und einen Rest von der Nabelschnur mit der Plastikspange geklebt. Auf dem Foto kann man tatsächlich so ein kleines bißchen erkennen, daß sie einen ziemlich runden Kopf hat und ein ganz rundes Bäuchlein, aber das haben wahrscheinlich alle Föten.

Einmal, das war für mich eigentlich das Beeindruckendste, da sah man nur das Herz; man konnte dann diese Herzbewegungen, dieses Öffnen und Schließen der Herzklappen sehen, wie ein Falter.

Das fand ich ganz seltsam – losgelöst von allem, nur das Herz vom Kind. Das hat mich so an die Herzopfer der Atzteken erinnert.


E:   Für mich hat das immer mehr mit der Landung auf dem Mond zu tun. Die Landung auf dem Mond habe ich am Fernseher mit 9 Jahren erlebt.


M:   Der Mond sollte entmystifiziert werden.


E:   Weiß ich nicht, jedenfalls ist es nicht gelungen. Wenn ich heute an den Himmel gucke und da diese Scheibe sehe, kann ich das überhaupt nicht mit dem Armstrong, der da mit den Moonboots über den Boden gefedert ist, zusammenbringen. Es ist offensichtlich ein ganz starker Wunsch, eine Sache, an der man tatsächlich nur wenig teilhat, irgendwie für sich begreifbar zu machen.

Also, da kommen zwei Zellen zusammen, die verschmelzen und daraus entsteht irgendetwas, worauf man spätestens nach der Verschmelzung keinen Einfluß mehr hat. Dann versucht man, wenigstens am Bildschirm sich noch einmal begreifbar zu machen, was da eigentlich in einem vorgegangen ist, weil man es ja sonst gar nicht glauben kann, daß so etwas noch funktioniert.


M:   Die Aboriginies denken, ein Ei nistet sich bei der Frau ein, wenn sie im Schlamm badet. Sie wissen nicht oder wollen nicht wissen, was der Zusammenhang zwischen Beischlaf und Befruchtung ist.


E:   Wobei sie das sicherlich wissen.


M:   Ja, sie wollen das nicht wissen, sie beharren auf diesem Mythos. Bei uns gibt es die Umkehrung, einen absoluten Verzicht auf irgendeine Mystifizierung des Ursprungs eines Kindes, bis hin zur Sentimentalisierung dieser einzelnen Person. Wobei völlig irre ist, daß diese einzelne Person als Individuum auf dem Video gar nicht zu identifizieren ist. Das finde ich ziemlich irre.


E:   Na ja, was eben auch völlig verloren geht, ist das Gefühl, Frau und Kind sind eine Einheit sind und die Frau nicht nur das fötale Umfeld.


M: Je mehr Frauen akzeptieren, daß sie solch ein Umfeld sind und daß dieser Fötus im Mittelpunkt steht und daß es immer selbstverständlicher wird, daß Alles so durchsichtig wird, daß sie selber auch so gläsern und durchsichtig sind, um so mehr geben die Frauen von sich ab an die Öffentlichkeit, an die Ärzte, an diese Technik usw.. Dadurch, daß sie nur ein Umfeld sind passiert eine Entpersonifizierung und auf der anderen Seite versuchen sie durch eine Sentimentalität oder dadurch, daß sie es aufzeichnen und es immer wieder anzugucken, eine Personifizierung am Fötus vorzunehmen: Kuck mal, das ist der kleine Marcel. Und dann schwimmt da so ein kleines Fischchen.


E:   Ja, es wollen eben viele Leute auch durch die Untersuchung wissen, welches Geschlecht das Kind hat, um eben ihm schon einen Namen geben zu können.


M:   So, wie B. sagte: "El Marcel, Marcel hat mich getreten." Aber was ich bei B. auch noch komisch finde: Die hat zwar diese Ultraschallaufnahmen gesehen und wußte, es wird ein Junge, sie hatte einen dicken Bach, das Kind drin und dann, als sie mich anrief, sagte sie: "Der Marcel ist jetzt angekommen."

Trotzdem noch dieses archaische Ding, der kommt von einem anderen Stern, das finde ich ganz irre, daß das noch so ein Mischmasch im Kopf oder im Herzen ist.


E:   Sie sagt nicht: El Marcel ist entbunden worden.


M:   Aber vielleicht auch gerade durch den Ultraschall, das habe ich auch gedacht. Die einzige Parallelerfahrung ist es eigentlich, in der Glotze Satellitenaufnahmen zu sehen. Dadurch schleicht sich im Unterbewußtsein vielleicht so ein Gefühl, eine Assoziation ein: das kommt irgendwo aus dem Kosmos.

       

 

 


 




 

 


 

 © Eva Kux